die Freude des geübten Lesers ist das Buch “In einer Person”. Sprachlich virtuos, in einer Erzähltiefe, die mich noch bei jedem Irving nachhaltig begeistert hat, vor allem, wenn man den Erscheinungsrhythmus der Bücher im Auge hat. Ich meine, wie macht er das, um Menschen so differenziert zu schildern, muss man doch vorher lange über sie nachdenken. Oder muss er das vielleicht gar nicht? Vermutlich hat er da andere Arbeitstechniken entwickelt nach all den Büchern und all den Jahren. Oder er ist einfach verdammt schnell und kreativ? Vermutlich Letzteres.
Jedenfalls schildert er das Leben des William Abbott, Sohn einer eher schlichten Frau und eines bisexuell/schwulen Schülers, Spitzname Nymphe, in der von Irving bekannten Gründlichkeit und Breite. Der von vornherein geschlechtsverwirrte Held schwärmt schon als Kind immer für “die Falschen”, wie er es nennt. Die Bibliothekarin, den Lebensgefährten seiner Mutter, den gefährlichsten Schüler der ganzen Schule. Sein Großvater, der Holzfäller ist, tritt am liebsten in Frauenrollen in der örtlichen Laienspieltruppe auf, während seine Frau mit Stentorstimme ihre Anweisungen erteilt. Ihr seht also, die Absurdität hat Irving nach wie vor im Fokus, und er kann sie auch immer noch mit leichter Hand überraschend erzählen.
Er schlägt den Bogen über eine Kindheit in der Provinz, wo Williams Neigungen teils misstrauisch beäugt und mit Ablehnung quittiert werden, teils aber auch auf großes Verständnis der ihrerseits nicht ganz so beschränkten Umgebung stoßen, bis zu der Entwicklung der Schwulenbewegung in den USA über die AIDS-Epidemie hin zu den heute an den Schulen bestehenden Gruppen für geschlechtsverwirrte Kiner (die natürlich einen anderen, politisch korrekten Namen haben, der mir aber eben entfallen ist). Was in dem Buch fehlt, ist letztlich ein Plot, aber das macht gar nichts, denn es fiel mir erst auf, als ich sah, dass nur noch wenige Seite übrig waren. Unterhalten habe ich mich großartig, und kommt es nicht darauf an?
Also: kaufen und lesen!!