Mut zur Lücke

Wie schon mehrfach geschrieben ist das protestantische Arbeitsethos fest bei mir verankert. Und wie ich gerade feststelle, bei meiner großen Tochter auch. Bei der Kleinen warten wir mal ab, aber ich glaube auch.

Was soll das sein? Ganz einfach: was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.

Bei mir gibt es noch eine besondere Variante. Ich schaffe es nämlich eigentlich halbwegs gut, einfach mal etwas zu ignorieren. Eine Zeitlang. Dann werde ich unruhig (=schlechtes Gewissen), es landet auf meiner ToDo-Liste und wie von Zauberhand ist alles innerhalb kürzester Zeit erledigt.

Um es klar zu sagen: ich rede hier nicht von den berühmten Zwei-Minuten-Aufgaben, die man wirklich sofort erledigen sollte. Solche Dinge wie Bett machen, Müll wegbringen, Spülmaschine befüllen etc. Auch nicht die fünf-bis-Zehn-Minuten-Aufgaben, die zum täglichen Leben gehören: Spülmaschine wieder ausräumen, Waschmaschine anstellen etc.

Bei größeren Aufgaben sollte man aber schon Termine im Auge behalten und nicht bis zur letzten Minute schieben. Habe ich schon während des Studiums gelernt – einen Lernplan einzuhalten erleichert das Leben ungemein.

Irgendwann habe ich aber auch gelernt, dass man manche Dinge vielleicht lieber nicht sofort bearbeitet oder auch besser in Teilen erledigt und darum soll es heute gehen. Wir haben das alles schon mal erlebt: man denkt sich “das mache ich noch schnell fertig”, kommt dann irgendwohin zu spät oder schläft zu wenig oder gönnt sich einfach zu wenige Ruhepausen.

Auf Dauer wird es aber noch schlimmer: ehrlicherweise muss man sagen, dass man nie alle anstehenden Dinge schafft oder schaffen will. Ich drücke mich seit über einem Jahr um die Fotoalben drumherum (immerhin habe ich mir schon mal ein Konzept überlegt und Alben gekauft und alte Geschichten gesammelt). Irgendetwas anderes ist doch immer wichtiger, von der Steuererklärung bis zur Auswahl der neuen Wandfarbe. Oder einfach die zehnte Staffel von Black List schauen und dabei stricken (by the way – episches Ende). Das hört sich jetzt blöde an, aber falls mich morgen einer überfährt, sind all die Geschichten und Bilder, die ich meinen Töchtern mitgeben möchte, verloren. Das nagt dann schon. Andererseits: es sind meine Geschichten, die meiner Mutter und noch ein paar ältere Sachen. Wie schlimm wäre es, wenn es niemand wer weiß? Die Leben sind gelebt.

Stichwort: Priorität.

Meine Prioritäten habe ich mir genau angeschaut und selbstverständliche Dinge hinterfragt. Ist natürlich auch ein guter Zeitpunkt, die Kinder sind flügge und ich sortiere mich neu. Vermutlich habe ich zwei Drittel meines Lebens gelebt, ich möchte die mir verbleibende Zeit möglichst angenehm verbringen.

Das kann man auf die unterschiedlichsten Arten machen, ich mag die Wichtig-Dringend-Methode.

Wichtig und dringend: sofort erledigen.

Wichtig, aber nicht dringend: auf die ToDo-Liste mit Termin

Dringend, aber nicht wichtig: evtl. an andere Haushaltsmitglieder auslagern, ansonsten selbst erledigen

Und die netteste Kategorie “nicht wichtig, nicht dringend”, einfach streichen. Oder zum Spaß auf einen Zettel schreiben und einen Monat später nochmal schauen, was passiert ist.

Am schönsten ist es natürlich, wenn man keine wichtigen und dringenden Aufgaben hat, dann hat man das Terminmanagement gut gemeistert (von externen Einflüssen abgesehen). Und die Fotoalben mit den alten Familiengeschichten kommen jetzt auf die Wichtig-Liste mit Terminen.

Setzt ihr im Alltag bewusst Prioritäten oder habt schon mal darüber nachgedacht?

7 Kommentare

Vollständig alleinerziehend mit jüngerem Kind und Vollzeit arbeitend hier. Ich bin ehrlich, ich schaff in der Regel im Alltag nur „wichtig und dringend“. Für alles andere müsste ich Urlaub nehmen und mein Kind weg organisieren. Und dann brenne ich aus. Hab mich jetzt damit abgefunden, dass es in diesen Jahren so ist. Dann miste ich die Kammer eben erst aus, wenn das Kind größer ist. Dito die Fotoalben, die hier auch zu machen wären. Gerade ist mir meine Seelenheil, echte Freizeit und eine gute Zeit mit meinem Kind wichtiger.

Auch wenn kein Kind mehr hier: ich mache es wie Nina. Priorität haben direkte Beziehungen und das finde ich schon schwer zu erhalten. Die Kraft und Aufmerksamkeit wird weniger, momentan fließt der Hauptteil in die Arbeit und Wohnung (auch ständige Wasserbrüche hier im Haus und im Viertel).

Wenn die Zeit reif ist, wird das andere. 🙂

Da ich Post Covid habe und eine Belastungsintoleranz habe ich nun gelernt meinen Tag zu planen und vor allem auch die Pausen, damit ich nicht über die Belastungsgrenzen hinaus komme. Ich bin dabei noch in den Anfängen.

Das klappt ganz gut, wenn ich alleine bin und meinen Tag selber gestalten kann und um wichtige Termine (Physio, Ergo) herumplanen kann. Vieles muss ich auch splitten oder auf 2 Tage verteilen.
Schwierig wird es, wenn was unvorhergesehenes kommt, und da bin ich grad bei Iridia: wir haben einen Wasserschaden im Haus.
Das hatte aber auch den Vorteil dass Ausmisten nun ganz vorne in die Prioritätenliste gerutscht ist.

Berge an Fotos habe ich auch entdeckt, keine Ahnung was ich mit denen machen soll. Mit Kinderfotos habe ich vor ein paar Jahren schon mal ein Album machen lassen. Aber Urlaubsfotos vor 30 Jahren, die nicht digitalisiert sind… Da habe ich auch grad null Interesse sie einzukleben.

Samoa, ich hatte auch Long Covid und ich hab den Zusammenhang noch gar nicht gesehen, weil es mir auch mal wieder spürbar besser ging, aber auch nie mehr so wie vor 3 Jahren. Ich hab das auf das Altwerden geschoben, aber vielleicht ist es von jedem was. Vielleicht geht da mit der Zeit noch was und ich sollte da einfach Geduld haben. 🙂

Ich erledige auch immer alles sofort, habe aber doch mittlerweile gelernt, dass aufschieben manchmal ganz gut ist, weil sich die Dinge von allein erledigen oder dann eben doch anders darstellen, dass man dann die doppelte Arbeit hat. Ich finde es gar nicht so einfach, Dinge liegen zu lassen, muss mich dann regelmäßig selbst disziplinieren.
Schwierig finde ich es im Job, ich bin seit Jahren im öffentlichen Dienst und hatte mich eigentlich ganz gut an das reduzierte Tempo gewöhnt und dass man einfach sagen kann, dass man etwas nicht geschafft hat. Jetzt arbeite ich wieder öfter mit Externen zusammen, die ganz anders auf Zack sind, so wie ich auch früher. Da will ich dann wieder mithalten und das gelingt mir mit zunehmendem Alter nicht mehr wirklich gut, weil mein Energielevel einfach nicht mehr so hoch ist, ich kann einfach nicht mehr 10 Stunden am Stück durchpowern. Das macht mich unzufrieden, daran arbeite ich gerade.

Die Lücken sind meiner Ansicht nach das Einfallstor für Kreativität: anders an das Problem herangehen oder anders bewerten. Anders bewerten ist relativ einfach; das ist Deine Frage, liebe Irit, nach der Dringlichkeit bzw. der Priorisierung. Kreativität entsteht vielleicht dann, wenn ich mir die Aufgaben mit anderen Menschen teile und deren Ansätze anhöre. Manchmal macht es dann “Ping” im Kopf. (Und manchmal auch nicht). Aber: Reden hilft beim Denken. LG, Annette

Belastungsintoleranz ohne Covid.
Meine oberste Prio hat meine innere Ruhe. Daran richte ich alles andere, was ich kontrollieren kann, aus. Bleiben immer noch genug Dinge übrig, die ich nicht kontrollieren kann.

Mein Garten ist ein postapokalyptischer Urwald, die Fenster erblinden langsam und “ausmisten” werde ich mit einem großen Container beim nächsten Umzug.

Einiges tut auch sehr weh, z.B. mein geliebtes Rennrad, das im Schuppen verrottet. Ich verspreche mir jetzt in dieser Sekunde, hier, es dieses Jahr noch zu putzen. Der Sommer soll ja zurückkommen, irgendwie.

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