findet ihr, dass Daniel Schreiber mehr Worte für den Titel seines neuen Buches hätte verwenden sollen? Ich finde nämlich nicht, denn mit dem Wort ist sein Zustand ab dem entscheidenden Moment, als er aufhörte zu trinken, umfassend präzise beschrieben.
Daniel Schreiber ist ein erfolgreicher Journalist und Autor, der unter anderem eine Biografie über Susan Sontag verfasst hat. Er ist klug, gutaussehend und gerade mal 36 Jahre alt, was angesichts dieses Buches erstaunt. Diese Art von persönlicher Bilanz sind wir doch eher von Fünfzigjährigen gewöhnt, die nach Jahrzehnten des Trinkens die Notbreme ziehen. Oder eben auch nicht, wie so viele Artikel nach dem Motto “Kein Wein ist auch keine Lösung” zeigen.
Das Buch ist toll, infomativ und darüber hinaus unterhaltsam geschrieben. Zum Einen erzählt Schreiber seine eigene Geschichte – er ist jung, begabt, behütet aufgewachsen, sehr erfolgreich – er lebte in New York und seine Artikel erscheinen in renommierten Zeitungen und Zeitschriften. Auf der anderen Seite trinkt er Alkohol. Er trinkt gerne. Sehr gerne. Er liebt den Schleier, den Alkohol über die Probleme liegt, und wie Alkokol die scharfen Kanten des Lebens mit seinen Problemen abschleift. Zumindest zunächst. Denn über die Jahre macht sein Alkoholkonsum ihm zunehmend Probleme. Das alles fällt anderen nicht wirklich auf, denn er ist ja schön und erfolgreich, und klug wie Abhängige sind umgibt er sich mit Coalkoholikern und anderen Trinkern. Aber ihm fällt es schwer und schwerer und irgendwann zu seinem Glück kommt der Tag, an dem er den Entschluss fasst, nüchtern zu werden.
Es zu bleiben, bezeichnet Schreiber als lebenslange Aufgabe. Ich wünsche ihm alle Kraft der Welt, es zu schaffen. Ich hoffe es für ihn, weil er sich so gequält hat und weil ihm vollkommen klar ist, wie gefährlich ein Rückfall wäre – er erwähnt nicht ohne Grund die Freundin, die sich bald nach dem erneuten Beginn des Trinkens das Leben nahm sowie diverse Prominente mit Alkoholproblemen. Das Buch ist berührend ehrlich und daneben überraschend informativ, es enthält eine Übersicht über die neuesten neurologischen und psychologischen Erkenntnisse über Alkohol und die Menschen, die ihn trinken. Ich jedenfalls werde niemanden mehr zum Mittrinken auffordern, das ist wohl mal klar – wer weiß schon, warum der/die nichts trinken will?
3 Kommentare
Auch wenn man kein Alkoholproblem hat, möchte man nicht zum Trinken genötigt werden. “Nur zum Anstoßen”, “nur ein Schlückchen”, mich nervt das. Als guter Gastgeber stellt man auch Alkoholfreies ( und möglichst nicht nur Sprudelwasser) bereit und alle sind glücklich.
Leider ist es so, dass man immer wieder bedrängt oder blöd angeguckt wird, wenn man keinen Alkohol trinkt. Mein Mann ist trockener Alkoholiker und auch “erst” 39. Trinken ist chic und toll und wer nicht mitmacht ist raus. Alkohol ist die schlimmste Droge, die es gibt. Man bekommt sie überall und zu jeder Tageszeit. Am schlimmsten finde ich die Flachmänner im Kassenbereich vom Supermarkt, wo jeder Alkoholiker dann doch nochmal daran vorbei muss. Ich bin sehr stolz auf meinen Mann. Das Buch interessiert mich, ich werde es lesen 🙂
Vielen Dank für die tolle Beschreibung. Als Betroffene habe ich schon viele Erfahrungsberichte von Alkoholikern und Co-Alkoholikern gelesen. Dies hier kenne ich noch nicht und werde es mir demnächst herunter laden.
@Andrea B. und Lissy: Stimmt voll und ganz. Die wirklich schlimmste Droge, der schleichende Tod sage ich immer. Ich finde auch dass NIEMAND sich rechtfertigen sollte weil er keinen Alkohol trinkt. Ich merke gerade wie schwierig das zur Zeit in München ist: Es ist Oktoberfest – die Stadt im Ausnahmezustand. Wenn ich sage dass ich zur Wiesn gehe kommt die Frage: In welches Zelt. Ich: In gar kein Zelt, nur bummeln und bisschen was fahren. Erstaunen und Unverständnis: warum gehst Du auf die Wiesn wenn Du nichts trinkst…. ??? Gestern musste ich zu einem Termin in die Stadt. Bereits um die Mittagszeit überall Bierleichen – besonders erschreckend: ganz junge Mädchen die halb bewusstlos auf dem Gehsteig sitzen – und keinen interessiert es. Aber jetzt höre ich auf, das Thema ist endlos.