Verschiedene Blickwinkel

Wie vermutlich viele Leserinnen liebe ich die “100 Zeilen Liebe” auf der letzten Seite der Myself von York Pijahn. Er schreibt pointiert, witzig, aus dem Leben gegriffen und ein bisschen fühlt man sich immer erwischt. Um ehrlich zu sein, blättere ich immer als erstes nach hinten bzw. schlage die Myself gleich immer hinten auf. Das tat ich auch mit der Jni-Ausgabe vor zwei Monaten und seitdem schwirrt das Thema bei mir im Hinterkopf herum.

Es ging um seinen Kumpel Stulli, der zu Hause auszog (Frau und zwei Kinder blieben zurück) und es ging i.w. darum, wie schön es doch ist, einen Kumpel zu haben, der wieder Zeit hat, mit dem man abends um die Häuser ziehen kann usw. Das Ganze natürlich am Ende leicht relativiert, Nächte in angesagten Clubs sind mit Familie und Kleinkind halt doch anstrengend und der müde York Pijahn hätte mir fast leid getan. Aber nur fast.

Mein feministisches Hirn sprang schon vor zwei Monaten an und ich dachte als erstes: wie hätte der Artikel ausgesehen, wenn ihn die Freundin der Frau geschrieben hätte? Klagen darüber, dass jetzt überhaupt keine Zeit mehr ist fürs die Freundin, da Job und Kinder mehr Belastung sind, als man eigentlich allein vertragen kann? Oder eine BEschreibung von weiblicher Solidarität für eine offensichtlich alleinerziehende Mutter? Da Stulli an fünf Tagen die Woche ausgeht, scheinen mir die Kinder nur noch Randerscheinungen zu sein.

Im Laufe der letzten zwei Monate staute sich bei mir eine regelrechte Wut über das Thema auf, zumindest, wenn ich mal wieder den rausgerissenen Artikel (ich reiße immer alle Artikel, die ich irgendwie noch brauchen kann, aus Zeitungen heraus und sammele sie in einer großen Kiste mit Hängemappen) in der Hand hatte.

So auch kürzlich, mein Mann und ich saßen einträchtig am Tisch, ich sortierte meine Ausrisse, er las Zeitung und im Brustton der Empörung erzählte ich ihm davon. Nun gut, um genau zu sein steigerte ich mich ein wenig ins Thema rein, dass die meisten Männer Haushalt und Kinder als offensichtlich als Option aber nicht als Verpflichtung betrachten und so weiter und so weiter.

Da sagte er ganz cool: naja, vielleicht ist der Zustand ja nicht viel anders als vorher und zumindest hat sie keine Arbeit mehr mit ihm.

Das sind die Denkweisen, für die ich meinen Mann liebe. Ich sitze emotional schon längst auf der höchsten Palme und keife herum, er ist da einfach cool und betrachtet die Dinge auf andere Weise.

Fazit 1: vermutlich hat er recht.

Fazit 2: ich freue mich jeden Tag darüber,dass mein Mann nicht einer von den “Hausgästen” ist, sondern sich die Arbeit mit Kindern und dem Haushalt mit mir teilt und zwar freiwillig, weil er so leben möchte. Das machen wir diesen Monat seit 25 Jahren so und ich denke, die nächsten 25 werden genauso schön.

6 Kommentare

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Ich habe mich auch ziemlich aufgeregt über den Artikel bzw. über Herrn Stulli. (Auf den Blickwinkel Deines Mannes kam ich leider nicht.).
Herzlichen Glückwunsch also zum Gegenpol und natürlich zur silbernen Hochzeit.

Ah, ich bin beruhigt, das ich es nicht als einzige etwas merkwürdig fand.

Silberhochzeit haben wir noch nicht (waren erst 19 Jahre), aber am 20.8. sind wir 25 Jahre zusammen

Bei der Sache mit Stulli hab ich natürlich auch gestutzt. Ich bin froh, dass diese Phase (wo jeder das Gefühl hat im falschen Film zu sein) bei uns vorbei ist. Wir sind auch gerade 25 Jahre verheiratet und konzentrieren uns jetzt mit auswärts studierendem Herzblatt/Augenstern wieder auf uns selber, bzw. auf das Haus mit Garten das wir gerade gekauft haben. Uuuunser Leben! Wenn es auch nicht immer einfach war (7 Mal aus berufichen Gründen mit Sack und Pack quer durchs Land umgezogen), so haben wir wohl Glück gehabt mit unserer kleinen Familie.

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